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Samstag, 12. Mai 2007

J. ruft jeden Tag an.

„Was machst du?“ fragt sie.
„Ich liege im Bett und schaue aus dem Fenster. Und du?“
„Ich kiffe.“


Es ist Nachmittag und die Sonne tanzt auf den Dielen, ich höre J. atmen. Vielleicht trägt sie ihre weiße Gemütlich-Hose und versucht unschuldig zu sein, vielleicht hat sie’s auch aufgegeben. J. kann nicht unschuldig sein, obwohl sie es gerne wäre, nicht für sich, aber für den Mann, den sie liebt, der irgendwann sagte, sie solle unschuldig sein. Sie hat es versucht, übte einen unschuldigen Augenaufschlag vor dem Spiegel und trug eine Woche weiße Klamotten, doch es hat nicht funktioniert. Deshalb wartet sie jetzt in schwarzen, tief ausgeschnittenen Tops darauf, dass er anruft, da sieht er sowieso nicht, ob sie unschuldig schaut.

Es war im September, als ich J. eine Liebesgeschichte erzählte, von einem Mädchen, das einen Mann liebte, und einem Mann, der das Mädchen auch liebte. Er liebte aber anders als das Mädchen, deshalb liebte er eigentlich doch nicht, und das Mädchen, das gab auf und zog in ein anderes Land. Wer will schon ein Happy-end? Das Mädchen vielleicht, aber vielleicht auch nicht, und vielleicht ist sie heute froh, dass er sie nicht liebte und sie fort ging. „Zum Abschied sagte sie ihm, dass sie ihn liebt, und er schob mit seinem Ringfinger die Brille auf seine Nase und sagte: Ich liebe dich auch“, erzählte ich J., und sie sagte nichts. Aber am Tag danach schrieb sie dem Mann, den sie liebt, dass sie ihn liebt, und da sagte er nichts.

J. ist nicht meine beste Freundin. Sie ist ein Teil von mir. Wo ich einatme, atmet sie aus, wo ich suche, da wird sie fündig. Eines Tages war sie da und ist ganz einfach geblieben, als wäre es selbstverständlich, dass sie bleibt. Und es ist selbstverständlich, schließlich ist sie ein Teil von mir. Ich kenne die Farben ihrer Augen, und obwohl das so banal ist, ist es J. wichtig. Ich weiß, dass sie silbernen Schmuck nicht mag und wo ich ihr Testament finde, ich weiß, wen sie vögeln will und dass ihr Psychiater sie „notorisches Luxusweibchen“ nennt. Sie weiß, dass ich nicht schlafen kann und gerne Junkfood esse, sie weiß, wen ich liebe und dass ich seit einem Jahr ungevögelt bin. Und wenn ich „Ich will mir die Arme aufschlitzen sage“, dann antwortet sie „Schatz, kein Problem, ich wetz schon mal die Messer!“, und ich lache wieder glockenhell und weiß: Sie ist ein Teil von mir.

Früher, da trafen wir uns jeden Abend am Telefon und heulten miteinander den Mond an. „Ich bin verabredet“, sagten wir zu unseren Arbeitskollegen, gingen nach Hause, öffneten im Westen eine Flasche Wodka und im Süden eine Flasche Gin, und dann saßen wir uns gegenüber, den Hörer in der einen, das Glas in der anderen Hand. „Wenn wir so weiter machen, sind wir in drei Tagen tot“, sagte J. jeden Abend, und ich nippte an meinem Gin und sagte: „Na und?“ An den Tagen danach, wenn wir mit Alkohol-Atem und Augenringen aufwachten, da fragte sich jede von uns im Stillen, wie lange wir das durchhalten, aber wenn J. am Nachmittag anrief und mit ihrer dunklen Stimme „Schatz, was trinken wir heute?“ brüllte, überflutete Sonne mein Herz und ich betrog Gin mit Bier.

„Ich hatte gestern eine Flasche Wodka, ich glaube, ich muss kotzen“
„Ich muss gerade mal nicht kotzen.“


J. muss von ihren Medikamenten kotzen und will nicht darüber reden. Manchmal tun wir es doch. „Was würdest du tun, wenn dein Arzt dir sagt, du hast nur noch ein Jahr zu leben?“, frage ich, und J. lacht ihr dunkles Katzenlachen, das ein bisschen im Hals stecken bleibt, und sagt: „Das wird er mir bald sagen.“

„Was machst du?“ fragt sie.
„Ich liege im Bett und schaue aus dem Fenster. Und du?“
„Ich kiffe.“


Schweigen und tanzende Sonnenstrahlen.

„Weißt du, wir sagen uns immer dasselbe. Ich liege immer im Bett und schaue aus dem Fenster, und du kiffst immer. Darüber muss ich mal schreiben“.
„Bitte mach das. Sofort!“


Sofort habe ich es nicht gemacht. Zuerst musste ich noch ein wenig liegen und ein bisschen aus dem Fenster schauen. Aber jetzt habe ich darüber geschrieben. Nur für J.. Übrigens: Ihre Augen sind braun.
Nella Niemandsland (importiert durch j.bin_ich) - 12. Mai, 19:14 - Rubrik: Niemandslandworte
2540 x gelesen - 7 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks

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dfw (Gast) - 13. Mai, 00:37

Ich hab was anderes gesucht und habe mich ins Niemandsland verirrt. Und finde nicht mehr raus. Dann übernachte ich halt hier.
Bei den schönen Texten.
Und dem Knoten sagens, er soll sich schleichen.
Freu mich auf Morgen, wenn ich den Weg raus finde ;-)
antworten

Nella Niemandsland (Gast) - 13. Mai, 09:41

Guten Morgen

Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen im Niemandsland. Wenn Sie noch ein bisschen bleiben, bringe ich einen Kaffee vorbei. Als Dank für den Besuch und Ihre netten Worte. Übrigens: Rechts oben geht es raus. Einfach auf das x klicken, dann verschwindet das Niemandsland :-)
antworten
dfw (Gast) - 13. Mai, 10:10

Danke für den Kaffee; hab herrlich geschlafen.:-)
Jetzt muss ich raus, aber ich komm wieder!
antworten

Pseuspektive (Gast) - 13. Mai, 11:11

Im Niemandsland hast du es aber schön gemacht. Mach weiter, ich weiß wie das als Anfängerin ist :-)
antworten

Au-lait (Gast) - 13. Mai, 21:25

Bitterschön!

Hach.
-----
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sphaerenklang - 27. Jun, 17:41

"sieh nur. sie sind wie wir.", musste ich denken und sagen. es gibt euch und es gibt uns. wie schön und traurig. hier sind es norden und süden. sie waren es und sind es bald. und wie schön. dass es dinge wie euch und uns gibt.
antworten

Windesser - 28. Jun, 00:13

Ich sehs. Und freue mich an euch. Ihr seid schön. Und wirklich, ein bisschen wie wir.
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